In Gespräch mit Gründern und Gründerinnen bin ich häufig. Nicht zu Letzt, seit ich mit dem Ankerwechsel Verlag selbst eine bin. In ganz besonderer Erinnerung bleiben mir solche Unterhaltungen aber dann, wenn ich diejenige bin, die Fragen los werden darf: bei den Interviews, die ich für die Hallo-Bücher führe.

Neben spannenden Antworten genieße ich über Kaffee, Bier oder Limonade (wie in diesem Fall) dann ausführliche Erzählungen über die intensiven ersten Jahre von Läden, Cafés und anderen Herzensprojekten. Die Leidenschaft blinzelt dabei in den Augen meiner Interviewpartner*innen. Und nicht selten kommen lustige Anekdoten, zweifelnde Gedanken oder große Gesellschaftsfragen an die Oberfläche. Am Ende solcher Unterhaltungen ziehe ich regelmäßig mit einer Mischung aus Inspiration und einer kostbaren Prise Mut von dannen. Zwei Geschenke, die ich durch ihre Geschichten in meinen Büchern weitergeben möchte.    

Erst wenn ich aus dem Interviewmaterial schließlich einen Fließtexte mit limitierter Zeichenzahl erarbeite, wird mir wieder die Begrenzung jener 128 Seiten bewusst, deren Umfang die Hallo-Bücher besitzen – Grüße an dieser Stelle an die zauberhafte Grafik Designerin, die noch später im Prozess mit mir Stundenlang über einzelne Worte knobelt, nur damit das Ganze dann auch noch im Blocksatz optimal sitzt! So ist das nun mal in der Arbeit für den Verlag: Perfektionierung bis zur Druckabgabe. Und dafür liebe ich das Buchformat ja auch.

Zum Glück habe ich aber auch noch ein anderes Medium, diesen Blog! Und hier gibt es ab sofort einen besonderen Beitrag für euch: ein Interview in Langform, das ich für “Hallo Amsterdam” geführt habe. Im ersten Teil erzählt Sir Hummus-Mitgründerin Lior Benador, geboren in Jerusalem, von ihrem Weg des Quereinstiegs als Familienunternehmen. Dabei durchquert sie nicht nur drei Kontinente, sondern teilt auch die große Philosophie, die sie versucht mit ihrem Laden zu leben. Im zweiten Teil des Interviews (folgt in Kürze, dann kommt hier auch ein Link dazu!) frage ich sie außerdem, ob sie selbst manchmal den Hummus satt hat, wie es ist zusammen mit der engsten Familie ein Business zu führen und wo sie Inspiration findet. Viel Spaß damit!

 

Von der Studenten-WG über einen Marktstand in London zum eigenen Hummusrestaurant im Amsterdamer Stadtteil De Pijp 

 

Wer steckt hinter Sir Hummus?

Wir sind drei Gründer: mein Mann Guy, sein Bruder Dori und ich. Es ist also ein Familienunternehmen. So fühlt es sich auch an und sieht es aus. Unser Start war aber etwas ungewöhnlich. Wir kommen alle aus sehr unterschiedlichen Bereichen. Guy hat zum Beispiel als Technologieberater gearbeitet. Er lief jeden Tag im Anzug rum. Ich saß für meinen Job in der Sozialarbeit auch vor allem am Schreibtisch. Den ganzen Tag nur hinter dem Computer zu sein, das habe ich gehasst. Dori hat in Tel Aviv studiert. Zu der Zeit lebten Guy und ich in London.

 

 

Ihr seid also ursprünglich keine Amsterdamer?

Nein, wir sind alle drei aus Isreal – geboren in Jerusalm. Kennengelernt haben Guy und ich uns aber erst im Ausland, in den Staaten. Als wir jünger waren, sind wir jeweils mit unseren Eltern dorthin gezogen. Wir haben dann entschieden zusammen zum Studieren nach Europa zu gehen. So sind wir am Ende also in Holland gelandet und haben uns in Amsterdam verliebt. Unsere Universitäten waren aber nicht hier, sondern in Rotterdam und Tilburg. Beide Städte haben einen sehr anderen Vibe als Amsterdam. Vielleicht war das auch der Grund, warum wir nach dem Studium entschieden, ein Leben in London auszuprobieren. Uns war nach einer internationalen Metropole und wir wollten uns ins Berufsleben stürzen. Unsere Jobs dort waren interessant, aber sie haben sich leider nicht bedeutungsvoll für uns angefühlt. An irgendeinem Punkt haben wir uns dann für ein neues Hobby entschieden: Wir waren in so einer beeindruckenden Stadt, mit all ihren Foodmarkets, so viele verschiedene Kulturen trafen aufeinander und dadurch entstanden ganz neue, inspirierende Sachen. Wir haben also einen kleinen Stand auf dem Maltby Street Market aufgebaut. Dieser Markt ist mittlerweile explodiert und sehr bekannt. Damals vor fünf Jahren war er noch ganz an seinem Anfang und ein echter Geheimtipp.   

Und was habt ihr verkauft?

Guy machte immer Hummus als er noch ein Student war. Wenn wir mit all unseren Freunden am Freitagabend zusammen gegessen haben, dann war das, was er mitbrachte. Die Anderen haben damals immer gewitzelt: „Wenn du es nicht im Business schaffst, dann solltest du einen Hummusladen eröffnen!“. Es war immer nur ein Witz, aber als wir damals in London waren, haben wir entschieden etwas zu starten, dass uns Spaß macht. Wir mögen Essen sehr und lieben es zu Kochen. Außerdem war es nett so eine Verbindung zu seiner Identität zu leben. Wir haben viele Erinnerung an Hummus in unserer Heimatstadt. In Jerusalem sind wir oft mit unseren Familien Hummus Essen gegangen. Im Ausland haben wir es vermisst diese Art von Essen um uns herum zu haben. Also haben wir angefangen Hummus selbst auf dem Markt zu verkaufen. 

Und am Anfang war es nur am Wochenende, so dass ihr das mit eurer Arbeit vereinen konntet?

Ja, wir hatten weiterhin unsere Fulltime-Jobs und dann am Wochenende haben wir den Hummus gemacht und auf dem Markt gestanden. Dort kamen viele Rückmeldungen von Kunden und wir haben gelernt das Rezept zu verbessern. Außerdem haben wir angefangen ein paar Sachen dazu zu verkaufen: Saucen, Gewürze, Sachen die gut dazu passen. Am Ende waren es dann acht oder neun Monate, die sehr erfolgreich waren. Kunden kamen immer wieder zurück zu uns, also haben wir entscheiden mehr daraus zu machen. Das war ein großer Schritt für uns: Wir haben unsere alten Jobs verlassen. 

War das hart?

Ja. Wir haben aber gedacht, wir müssen eine Entscheidung treffen: Wollen wir weiter leben wie bisher oder wollen wir in eine Richtung gehen in der wir etwas machen, das uns wirklich gut gefällt und andere Menschen sehr glücklich macht. Dieser Kontakt mit Menschen, den wir zuvor in unseren Büros nie hatten – das ist, was mir am meisten bedeutet an der ganzen Sir Hummus Erfahrung. Ob Gesprächspartner wie du, die ich wahrscheinlich nie im Leben getroffen hätte, oder auch Kontakt mit einfach Irgendjemand, der unseren Laden betritt und hier eine sehr leckere und auch soziale Begegnung macht. Also an diesem Punkt haben wir dann gedacht: “Wir mögen Amsterdam wirklich sehr, es ist etwas entspannter hier und es gibt noch keinen Hummus-Laden”. 

Habt ihr vorher auch mal hier gelebt oder kanntet ihr Amsterdam nur von Rotterdam aus?

Ein bisschen – ein Sommer bevor wir nach London gegangen sind, haben wir hier gewohnt. Wir kannten also die Stadt ein wenig und wir wussten es gibt keinen Hummus hier. Also dachten wir, wir probieren ein Leben in Amsterdam zu starten. Es wäre bestimmt auch möglich gewesen in London einen Hummusladen zu eröffnen, aber wir haben die Lebensart in Amsterdam sehr genossen. Dass es möglich ist jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Und auch wenn wir kaputt sind von den ganzen Tag arbeiten, denn wir müssen viel Arbeiten um das Geschmacksergebnis zu erzielen, das wir uns vorstellen. Man muss das wirklich mögen um es auszuhalten. Aber gerade wenn die Arbeit hart ist, lässt dich eine Stadt wie diese das Leben besonders genießen. Wir haben also entschieden her zu kommen um einen Hummus-Ort zu eröffnen. Und wir haben Guys Bruder kontaktiert. Dori war zu der Zeit noch ein Student und wir wollten ihn gerne als Partner mit im Boot haben. Denn wir hatten das Gefühl, dass es ein großes Projekt wird. Und auch einfach um mit der Familie wieder enger zusammen zu kommen. Wir hatten damals keinen genauen Plan, wir wussten nur, wir brauchen einen Laden. Die Entscheidung etwas geschütztes haben zu wollen, wo man rein gehen kann, kam nachdem wir in London im Winter auf dem Markt standen.

Falls du jemals in Tel Aviv oder dem mittleren Osten warst und einem Hummus Laden besucht hast, dann weißt du welches Gefühl ich meine.

 

»Es ist sehr unformal, du kannst du selbst sein. Das Menü ist sehr simpel und häufig steht dort auch nur eine Sache drauf: Hummus. Du kommst, du isst und dann gehst du wieder. Es ist sehr schnell. Ein gemütliches, einfaches Arbeiteressen. Ein einfaches Erlebnis, aber sehr befriedigend. Wohlfühlküche. Warmes, sanftes Slowfood.«

 

Der ganze Prozess Hummus zu machen dauert bei uns 24 Stunden. Wenn du herkommst kannst du einen Teller in 30 Sekunden bekommen, aber um es zu machen, dauert es 24 Stunden. 

Als wir nach Amsterdam kamen haben wir bei Null angefangen. Um so wenig wie möglich auszugeben, wohnten wir zu dritt in einem kleinen Apartment. Das war natürlich ein Desaster. Ich scherze. Aber ja, wir hatten einen Traum und jeder hatte seine eigenen Ideen dazu. Da gab es natürlich einige Kämpfe, sehr viele Diskussionen und eine Menge Stress. Du weißt nicht, ob du es schaffst oder scheiterst. Das strengt an. Ein ganzes Jahr lang haben wir also nach einem Ort gesucht und über einen Namen, eine Strategie und einen Plan nachgedacht, wie wir in Amsterdam starten können. Über 70 Immobilien haben wir damals angeschaut. 

Warum ist es so schwer in Amsterdam einen Laden zu finden?

Nicht nur, dass Amsterdam so eine kleine Stadt ist. Gleichzeitig gibt es so viele verschiedene Nachbarschaften. Wir haben wirklich überall geguckt und hatten keine genauen Vorstellung von einem Stadtteil. Außerdem kam noch dazu, dass niemand uns kannte. Wir hatten auch kaum Geld zum Investieren. Knifflig! Und dann kamen wir hier am Van der Helstplein an. Der Laden war vorher ein Büro bzw. eine Mischung aus Büro und Geschäft für eine Schuhmarke. Es gehörte einem niederländischen Fußballspieler. Der ganze Platz davor war sehr leer. Der Ort war sehr Understatement, die Cafés herum hatten noch nicht auf. 

War De Pijp damals schon beliebt?

Ja. Aber diese Lage war trotzdem abseits genug. Bevor wir gestartet haben, haben wir auch einige Pop ups gemacht. Aber wie wir so richtig Anfangen sollen, wussten wir immer noch nicht. Dann hatten wir zum Glück einige Hilfe von Freunden, Designern, etc., die uns mit ihren Meinungen geholfen haben. Wir haben alles selber designt und kreiert. Wir waren dabei komplett involviert. Am Ende haben wir dann bei FB gepostet, ob jemand Gläser oder Teller spenden kann. Das haben dann tatsächlich auch Leute gemacht! Viele Sachen, die man Drinnen sieht, wurden von Nachbarn gegeben. Es war für uns wichtig, dass wenn wir diesen Ort eröffnen, dass die Leute aus der Nachbarschaft die ersten sind, die es genießen. Wir wollten mit Sir Hummus ein Teil der Nachbarschaft sein und nicht Fremde, die etwas merkwürdiges machen. Ich glaube, dass ist gelungen. Seit dem ersten Jahr haben wir eine Menge verbessert – das Menü ist dasselbe, aber ich meine auch die Qualität des Essens, der Zutaten, die wir finden konnten, die Lieferanten, über die wir beziehen… Das alles ist viel besser geworden. Die Zutaten beziehen wir von vielen verschiedenen Lieferanten. Am wichtigsten ist das Tahini, das importieren wir von einem Familienbetrieb aus Nazareth. Die Kichererbsen kommen aus Argentinien. Das Olivenöl aus Portugal. Das in Essig eingelegte Gemüse machen wir teilweise selber, teilweise importieren wir es aus Israel.

Wir haben zwar nicht viele Zutaten, aber wir wollen wirklich sicher gehen, dass wir die bestmögliche Qualität bekommen. Auf der anderen Seite müssen wir aber aufpassen: Teil unserer Idee von Hummus ist es, dass jeder sich das Essen leisten kann. Wir wollen es also nicht zu abgehoben machen, so dass es teuer wird. Es müssen also gute Zutaten reinfließen und gutes Wissen, wie man es herstellt. Und eine Menge Arbeit. Aber das Menü und die Zutaten müssen  simple und erschwinglich bleiben.

Wie könnt ihr das regeln, dass die Zutaten gut sind und gleichzeitig nicht zu teuer?

Es ist ein Balanceakt. Natürlich kann man immer höher gehen mit der Qualität, aber wir haben herausgefunden, dass auch die Expertise sehr wichtig ist. Man kann die teuersten Kichererbsen nehmen, aber das Hummus verhunzen. Wichtig ist eine gute Kichererbse auf die beste Art und Weise zu kochen. Etwas, das viele nicht verstehen. Wir werden immer wieder gefragt: Was ist euer Geheimrezept? 

Und was sagst du dann?

Es ist nicht der eine große Kniff – und auch nicht das Rezept meiner Großmutter, das in der Küche gekocht wurde, während ich aufwuchs. Keine seit Generationen weitergegebene Anleitung. Nein, es ist ein Können, das du entwickeln musst. Jeden Tag machen wir etwas ein kleines bisschen anders, um unser Hummusrezept zu verbessern. Wir analysieren sogar die Stimmung der Kichererbse. Denn an warmen Tagen verhält sie sich anders als an kalten. Wir mussten also lernen, alles anpassen zu können, was wir tun. Jederzeit. Das ist etwas, dafür kann man kein Rezept haben. Diese Abweichungen der Kichererbse wären nicht etwas, dass du als anderes Gericht wahrnehmen würdest. Ich bin mir aber sicher, dass du den Geschmacksunterschied merken würdest. 

Ist euer Grundrezept noch ähnlich zu jenem, mit dem Guy damals eure Studentenfreunden beeindruckt hat?

Nun, es ist schon ähnlich, aber wir haben auch einiges geändert. Am Anfang hatte das Rezept viel mehr Zutaten. Viele davon haben den puren Geschmack des Hummus verdeckt: viel Knoblauch, viele Zitronen, viele Gewürze. Nach Eröffnung und mit der Produktion in größeren Mengen haben wir das herausgefunden und weiter rum experimentiert. Dabei haben wir immer weniger und weniger jener Komponenten benutzt, die den echten Geschmack überlagert haben. Heutzutage haben wir einen sehr reinen Geschmack aus Kichererbsen und Tahini. 

Das Wesentliche, also die Grundzutaten von Hummus, sind also Kichererbsen und Tahini?

Genau. Die original Bezeichnung von Hummus im Arabischen, denn das Gericht kommt aus dem Mittleren Osten und heißt „Hummus in Tahini“. Denn Hummus bedeutet im Arabischen und auch Hebräischen „Kichererbse“. Tahini und Kichererbsen sind also die einzigen beiden Hauptzutaten. Alles danach richtet sich eher nach Saison, Vorliebe oder um eine besonderen Note zu geben. In den meisten Orten, an denen ich Hummus in Isreal gegessen habe, hast du verschiedene Saucen auf den Tisch. Saure oder scharfe Saucen zum Beispiel, die du hinzufügen kannst um zu entscheiden, was du möchtest. Das ist auch etwas, dass wir hier in unserem Laden machen. Du kannst selber entscheiden, wie du unser pures Hummus veredeln möchtest. 

Sind Zitronen und Co immer noch ein Teil eures Rezeptes?

Ja, aber viel weniger. Ich glaube, dass schwierigste für uns am Anfang war ein Konzept zu entwickeln, wie wir unseren Hummus anbieten. Denn mittlerweile kennt zwar jeder in Europa Hummus, aber es wird ganz anders gegessen als im Mittleren Osten. Die Leute gehen in den Supermarkt, kaufen eine Dose mit Hummus und nutzen es Zuhause als Karottendipp oder Aufstrich für ihr Brot. Niemand kennt das Konzept Hummus als Hauptspeise. Die Menschen in Amsterdam haben gedacht wir wären verrückt. Ich erinnere mich noch an einen Artikel, als wir gerade aufgemacht hatten. Da hat jemand das genauso geschrieben „Hummus, zu verrückt“. Denn niemand wusste von dieser Weise, es zu essen und für uns war es die einzige Art, die wir kannten. Wir haben also entschieden, dass wir das nach Amsterdam bringen müssen. Deshalb haben wir aber auch Garnierungen für den Hummus gemacht. In Isreal hat man vielleicht mal ein Ei oder ein paar Favabohne. Wir haben entschieden ein ganzen Haufen solcher Extras anzubieten, damit jeder sein Gericht anpassen kann, so wie er es mag.